Neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berechnung des Pflichtteils bei Lebensversicherungen
(379 x gelesen) im ErbrechtNeue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berechnung des Pflichtteils bei Lebensversicherungen
Rechtsanwältin Dr. Manuela Jorzik
Fachanwältin für Erbrecht und Familienrecht
Dieser Artikel ist als Pressemitteilung veröffentlicht:
http://www.openpr.de/news/433243/Die-Hoehe-des-Pflichtteils-bei-Lebensversicherungen.html
1. Ausgangsproblematik:
Die Einräumung von Bezugsrechten aus Lebensversicherungen ist ein gängiges Mittel, um am Nachlass vorbei einen Dritten
zu begünstigen. Räumt der Erblasser einem Dritten das Bezugsrecht bei einer Lebensversicherung ein, fällt die Lebensversicherungssumme nicht in den Nachlass. In der Einräumung des Bezugsrecht wird eine Schenkung gesehen. Pflichtteilsberechtigte können in Bezug auf Schenkungen des Erblassers einen Pflichtteilsergänzungsanspruch verlangen. Umstritten war bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs, aus welchem Wert der Anspruch berechnet wird.
Nach der bisher herrschenden Meinung in der Rechtsprechung sollten bei einer Kapitallebensversicherung im Todesfall mit widerruflicher Bezugsberechtigung nur die Summe der vom Erblasser entrichteten Prämien der Pflichtteilsergänzung unterliegen.
Einige Gerichte hingegen hatten in neuerer Zeit, gestützt auf eine Entscheidung des für Insolvenzrecht zuständigen Zivilsenates des Bundesgerichtshofes, die ausgezahlte Versicherungssumme für die Berechnung herangezogen.
2. Lösungsweg des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung vom 28. April 2010, Az. IV ZR 230/08:
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung beiden oben aufgeführten Rechtsauffassungen eine Absage erteilt.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes kommt es vielmehr allein auf den Wert an, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten - juristischen - Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können.
Regelmäßig ist somit auf den sogenannten Rückkaufswert abzustellen. Unter Umständen könne aber auch ein - objektiv belegter - höherer Veräußerungswert heranzuziehen sein, insbesondere wenn der Erblasser die Ansprüche aus der Lebensversicherung zu einem höheren Preis an einen gewerblichen Ankäufer hätte verkaufen können.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist allein schon deshalb zu begrüßen, weil mit diesem Urteil endlich Rechtssicherheit geschaffen wird. Bereits jetzt ist aber offensichtlich, dass in Zukunft vermehrt darüber gestritten werden wird,
ob der Rückkaufswert oder ein objektiver höherer Marktwert heranzuziehen ist. Zu beachten ist aber, dass sich dieses Urteil
des Bundesgerichtshofes nur auf widerrufliche Bezugsrechte an Lebensversicherungen bezieht.
Offen ist also nach wie vor, welcher Wert bei der Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts heranzuziehen ist.
3. Beispielsfall:
Der Erblasser V ist verwitwet und hinterlässt einen Sohn S. Als Alleinerben setzt er seine Freundin F ein. F ist auch widerruflich als Bezugsberechtigte der Lebensversicherung benannt. Eingezahlt hat der Erblasser 2000 € an Lebensversicherungsbeiträgen; der Rückkaufswert der Lebensversicherung beträgt zum Zeitpunkt des Todes 1.500 €. Einen Marktwert hatte die Versicherung von 2.500 €. Ausgezahlt wird eine Lebensversicherungssumme in Höhe von 60.000 €.
Die Pflichtteilsquote des S ist ½.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet aus den gezahlten Beiträgen beträgt 1.000 €, aus dem Rückkaufswert 750 €,
aus dem Marktwert 1.250 € und aus der Lebensversicherungssumme 30.000 €.
Dieser Beispielsfall zeigt, welche Unterschiede die Berechnungsgrundlagen bedeuten.
Er wird auch deutlich, welches Prozesskostenrisiko der Pflichtteilsberechtigte getragen hat, wenn er auf der Grundlage der Lebensversicherung seinen Pflichtteilsanspruch bei Gericht eingeklagt und ihm dieses aber nur den Betrag aus den Prämien zugesprochen hatte.